(c)Infraserv GmbH & Co Höchst KG /Foto übermittelt für JAhrbuch 2017 von Ingo Busch/Instandhaltung

Gastkommentar Ingo Busch: Der große Retrofit

17. Januar 2018 | von Gastkommentar

Ein bekannter Kommentator der Instandhaltungs-Szene und seines Zeichens ‚lebende Legende‘, Ingo Busch, ehemaliger Chefredakteur des deutschsprachigen Fachmagzines Instandhaltung, beschrieb im Jahrbuch zu den INSTANDHALTUNGSTAGEN 2017 seine Sicht der Dinge auf die ‚Branche Instandhaltung‘. Inzwischen hat er seine beruflichen Aktivitäten an den Nagel gehängt und das Zepter der Instandhaltung an seinen Nachfolger Martin Droysen übergeben. Ein Grund mehr, seine Zeilen an dieser Stelle nochmal zu publizieren.

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Ingo Busch: Der große Retrofit.

Eine der wichtigsten Aufgaben des Fachmagazins  „Instandhaltung“ besteht darin, Trends und neue Lösungen im Bereich des industriellen Asset Managements  zu erfassen und mit möglichst geringer Verzögerung zu publizieren. Dazu ist es unumgänglich, stets das gesamte Umfeld der industriellen Produktion im Auge zu behalten. Um abzuschätzen, wie die „Smart Maintenance“ der Zukunft aussehen könnte, gilt es zuerst  einmal, die übergreifenden  Entwicklungen in der Industrie weltweit und in Deutschland zu analysieren. Hier eine nun eine kurze Zusammenfassung dessen, was sich nach meinem Ermessen aus den Fachbeiträgen der vergangenen 1-2 Jahre und den zahlreichen Konferenzen zu diesen Themen ableiten lässt.

Kurz, gesagt, die Welt der deutschen Industrie war und ist nicht perfekt, aber doch sehr effizient organisiert. Welche „revolutionären“ Entwicklungen sollten da in der Lage sein, grundlegende Veränderungen hervorzurufen? Die gängige Antwort lautet: Die Digitalisierung! Dieser Begriff beschreibt nichts anders als die Gewinnung und Nutzung immenser Datenmengen durch Vernetzung von Menschen und Gegenständen mithilfe mikroelektronischer Bauteile und moderner Kommunikationstechnik. Wie aber wirkt sich diese Entwicklung auf die Industrie aus? Und bedeutet sie tatsächlich eine Revolution?

Antworten auf dies Frage zu finden fällt, allen euphorischen Prognosen zum Trotz, nicht leicht. Immerhin gibt es einige -–  inzwischen oft zitierte – Beispiele dafür, dass diese Entwicklungen ganze Industriezweige umgekrempelt oder sogar zum Verschwinden gebracht haben. Das zu gehört etwa die gesamte an Industrie für analoge Fotoausrüstungen samt Filmen und Dienstleistungen. Sie wurde, wie es heute so schön heißt, „disruptiv verändert“.

Alle reden von Industrie 4.0 – aber im Auge des Orkans ist es recht ruhig.

Deutschlands Industrie ist groß, leistungsfähig – aber in ihren Strukturen über einhundert Jahre alt. In den vielen Jahrzehnten haben sich Routinen und Werte herausgebildet, die als Grundlage für erfolgreiche Entwicklungen und auch für stetige Modernisierungen sorgten. Dabei ging es in der Hauptsache um möglichst hohe Verfügbarkeiten der Produktionsanlagen, Verringerung des Instandhaltungsaufwandes und effektive Qualitätssicherung. Diese Anforderungen waren übrigens auch der Treiber für einen Zweig des Anlagenbaues, der sich in Deutschland sehr erfolgreich entwickelte: der Automatisierungsanlagenbau. Dessen Ausrüstungen sorgten und sorgen in steigendem Maße für Transparenz der Produktionsprozesse.

Wie aber wird sich die gewachsene und derzeit gut aufgestellte Industrie in Deutschland verändern? Sind disruptive Prozesse zu erwarten? Oder werden  Autos, Produkte der chemischen Industrie, Werkzeugmaschinen oder Ausrüstungen für die verarbeitende Industrie auch in Zukunft und in den bisher gewohnten Mengen und Angebotsformen gefragt sein?

Hier streiten die Experten. Offensichtlich verändert sich aber das Verhalten der industriellen Kunden, ebenso wie das der Endverbraucher, hin zu neuen Märkten. Das betrifft etwa erweiterte Dienstleistungen wie Carsharing oder „product as a service“ in umfassenderem Sinne. Gekauft wird dabei nicht mehr das Produkt, sondern dessen Nutzen. Die entsprechenden neuen Geschäftsmodelle der „Servizitation“ entstehen ebenfalls auf Grundlage der Digitalisierung unter Nutzung der damit verbundenen Datenströme.

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Im nächsten Schritt gilt es dann, die Nachrüstungen und die damit gewonnenen Erfahrungen in die für die nächste Generation von Ausrüstungen nutzbar zu machen. Hier werden die Grenzen des eigenen Unternehmens überschritten, hin zur Kooperation mit den Herstellern der Ausrüstungen. Die Digitalisierung bietet dazu ebenfalls neue Möglichkeiten des Informationsaustausches, von Remote Services und Expertensystemen bis hin zur Übernahme ganzer Produktionsabschnitte durch den Ausrüster.

Was aber bedeutet das für die Instandhaltung? Zuerst einmal ist Modernisierung laut DIN ein Teil der Instandhaltung – mithin der „große Retrofit“  eine  Angelegenheit, die uns direkt betrifft. Hinzu kommt, dass die Instandhaltung bereits heute im Schnittpunkt wichtiger Datenströme steht, etwa was die Erkenntnisse über den Anlagenzustand betrifft. Der Umfang dieser „Big Data“ aber wird sich explosionsartig vervielfachen, auch als Folge der Digitalisierung. Um diese neuen Möglichkeiten optimal nutzen zu können, sind zwei Grundqualifikationen erforderlich: Die Fähigkeit, mit Daten umzugehen – und die Kenntnisse, diese bezüglich ihres technischen Hintergrundes zu interpretieren. Mit anderen Worten: Es werden IT-Spezialisten und Instandhalter gebraucht.

Die zweite Stufe des „großen Retrofit“ wird dann sicherlich den Anteil der IT in den Fokus rücken. Dabei geht es dann um einen fast vollständigen Umbau der gesamten Produktions-IT, vom Mikrocontroller  bis zum ERP-System. Auch dabei wird aber die Mitarbeit der Instandhalter notwendig sein, etwa bei der Konzeption von Dokumentationssystemen oder bei der Erfassung von anlagenspezifischem Wissen und Erfahrungen in Expertensystemen.

Diese Entwicklungen haben weit gehende Folgen. So ändern sich etwa die Anforderungs- und Qualifikationsprofile der Instandhalter aller Ebenen, vom Betriebshandwerker bis zum Asset Manager, dramatisch. Neue Techniken wie Augmented Reality halten Einzug am Arbeitsplatz, und „lernende Maschinen“ werden zum Diskussionspartner und Ratgeber.

Deshalb gilt es heute bereits, nicht nur am Konzept der „Smart Maintenance“ zu feilen, sondern es dort, wo es möglich ist, bereits konkret umzusetzen und den „großen Retrofit“ zu starten. Kleine Schritte sind da wichtiger als umfassende Strategien. Und schließlich und endlich kann auch die Instandhaltung eine Vorreiterolle bei der Umsetzung der Industrie 4.0 spielen – mit und neben der Produktion, der IT und den künftig neu entstehenden Strukturen.

 

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Fotos: (c)Infraerv GmbH & Höchst KG

Busch Ingo 2015, Instandhaltung

Zum Autor:

Dipl.-Ing. Ingo Busch studierte im Moskau Automatisierungstechnik und war nach Abschluss im Kernkraftwerk Lubmin als Instandhaltungsingenieur tätig. 1990 wechselt er in den Medienbereich, zuerst als Fachübersetzer, später als Fachjournalist. Zwischen 2001 und 2017 war er Chefredakteur des im verlag moderne industrie erscheinenden Fachmagazins „Instandhaltung“. www.instandhaltung.de

Titelbild: © Tim Reckmann/pixelio.de

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