Wir haben Harald Russegger, Psychologe und Informatiker, gebeten, das Thema Blockchain, Tangle und Co fĂŒr unsere Leserinnen und Leser aufzubereiten. Dieser Artikel ist in Ă€hnlicher Form erschienen im Jahrbuch der Instandhaltungstage 2018 (Leseprobe»)
ZENTRALISIERUNG UM JEDEN PREIS?
Zugegeben alle GeschĂ€ftsprozesse und Daten zentral in einer Cloud zu haben, bietet eine MenÂge Vorteile. Datenmanagement kann dadurch stark vereinfacht und standardisiert, die Sicherheit (wenn strikt angewendet) erhöht und Prozesse simplifiziert werden. Allen voran können durch das Outsourcing ganzer IT Abteilungen enorme KosÂten gespart werden. Soweit so gut.
Jedoch zeigte die Daten-Zentralisierung in den letzten Jahren mehr als drastisch, wie attraktiv und lohnend auch deren Missbrauch sein kann. SpekÂtakulĂ€rer Hacks auf groĂe – vermeintlich vertrauÂensvolle und sichere – Institutionen wie Banken, Versicherungen oder sogar Regierungsservern machten und machen regelmĂ€Ăig Schlagzeilen. Unternehmensdaten in Clouds werden von GeÂheimdiensten – ohne Wissen der Unternehmen – durchwĂŒhlt und weiterverwertet. Angeblich aus SicherheitsgrĂŒnden.
Finanz-Transaktions-Dienstleistern oder groĂen Online Shops werden Millionen Kreditkarten-DaÂtensĂ€tze durch findige Hacker entwendet und im DarkWeb verhökert.
DarĂŒber hinaus kann Zentralisierung auch beÂdeuten: Erhebliche Datenverluste.
DATENVERLUSTE
Crasht ein wichtiger Datenserver und war das Backup-Management lĂŒckenhaft, kommen GeÂschĂ€ftsprozesse zum Stehen. Daten können unÂwiederbringlich verloren gehen. Selbst kritische AusfĂ€lle zentraler Datendienste oder Verluste von nur wenigen Sekunden, haben das Potenzial viele Millionen Euro Schaden zu verursachen.
KOSTSPIELIGE MONOPOLE
Zentralisierung kann auch bedeuten, dass beÂstimmte Dienstleister essentiell wichtig werden. Manche werden dadurch zu de-facto MonopolisÂten und lassen sich ihre Leistungen durch z.B. (zu) hohe Transaktions-GebĂŒhren vergolden.
Wenig Beachtung wird einem anderen Problem Rechnung getragen: Manipulation.
MANIPULATION
Gibt es nur eine oder wenige originale DatenÂquellen und wird ein unautorisierter Zugriff darÂauf ermöglicht, können Daten verĂ€ndert oder absichtlich verÂnichtet werden, die eventuell weitreichende gesellschaftliÂche Auswirkungen haben. Man denke hier an Archivdaten, geÂrichtliche Beweise, HerkunftsÂausweise, Urheberrechte oder historische Dokumentationen u.v.a.m.
VERTRAUENSVERLUST
Welche Zentralisierungs-DeÂfekte auch immer auftreten, sie fĂŒhren meistens zu erheblichen Vertrauensverlusten bei Kunden/ innen, BĂŒrger/innen und GeÂschĂ€ftspartner/innen. Vertrauen ist aber ein wichtiges FundaÂment jeder Zentralisierung.
KREATIVES CHAOS
Es gibt Szenarien in denen Zentralisierung nicht möglich ist. Einerseits, weil von Anfang an zu wenig Vertrauen vorhanden ist und andererseits, weil es keine Bereitschaft gibt sich irgendeiner aufoktroyierten Organisation zu unterwerfen. Oder schlicht und einfach, weil das AusgangsszeÂnario einfach zu chaotisch und nicht hierarchisch beherrschbar ist.
BLOCKCHAIN
An den Wurzeln dieser ProbleÂmatik setzt ein neues Paradigma an: die Blockchain.
Geboren aus einer guten Portion Misstrauen gegenĂŒber groĂen, zentralen OrganisatiÂonen, hauptsĂ€chlich Banken, entstand ursprĂŒnglich die Idee einer selbststĂ€ndigen, digitalen WĂ€hrung. Sie sollte direkte digitale Transaktionen von EndgerĂ€t zu EndgerĂ€t, ĂŒber das Internet, ohne Banken, ermöglichen. UnabhĂ€nÂgig, sofort und sicher. Aber dezentral. Ohne Nadelöhre dazwischen. Und viel gĂŒnstiger.
Bitcoin war geboren â und wurde bald von Nerds adoptiert. RichÂtig groĂ wurde Bitcoin interessanterweise erstmals durch Kriminelle, die damit globalisiert und sehr effektiv illegale Waren und DienstÂleistungen handelten. Zumindest wenn es nach den Massenmedien geht.
Jedenfalls wurde damit in der (kriminellen) Praxis gezeigt, wie BitÂcoin als Bezahlungssystem funktionieren kann. Was immer man daÂvon halten mag.
Neben ersten, ernsthaften, gewerblichen Anwendungen sind inÂzwischen Bitcoin und andere CyrptowĂ€hrungen (âCryptosâ) zu SpeÂkulationsblasen mutiert. Der Wert eines Bitcoins hat sich seit seinem Erscheinen bis heute verzehntausendfacht. Der Ausgang dieser Spekulationskapriolen ist mehr als ungewiss.
WIE FUNKTIONIERT EINE BLOCKCHAIN?
Stark vereinfacht gesagt – eine Blockchain ist im Grunde nur eine Kette aus Daten-Blöcken, die Platz fĂŒr eine bestimmte Menge Daten haben (klassisch 1MB). Jeder Block kennt immer seinen VorgĂ€nger Block am sogenannten Hash-Wert. Eine Art Fingerabdruck des geÂsamten Inhalts des VorgĂ€nger Blocks. Der Hashwert des VorgĂ€nÂgerblocks wird mit dem Inhalt des Nachfolge-Blocks zusammen gespeichert und ergibt den Hashwert des Nachfolgeblocks. WĂŒrde jemand am Inhalt irgendeines Blocks auch nur 1 Bit verĂ€ndern, wĂŒrÂde dieser Anomalie von allen Teilnehmern sofort bemerkt werden, weil die Chain an dieser Stelle unstimmig ist.
Die Daten der Blöcke sind typischerweise TransaktionsinformatiÂonen, wie z.B.:
âA gibt B 1 bitcoinâ oder âB gibt C zwei Ăpfelâ.

Im Grunde ist es völlig egal welche InformatioÂnen gespeichert werden. Es kann auch eine histoÂrische Information oder sogar Musik sein. Der Sinn hĂ€ngt vom Einsatzszenario dieser Information ab.
Entscheidend ist jedoch was mit der Information passiert. NĂ€mlich â nichts mehr.
Sie wird einerseits in der Blockchain âverewigtâ/ begraben und andererseits an alle(!) Teilnehmer der Blockchain weitergeleitet (als neuer Block). Ist die Information erst mal in der Chain, kann sie nicht mehr unbemerkt verĂ€ndert werden. Um die Sicherheit vor Manipulation weiter zu erhöhen und um die Chain vor Spam zu schĂŒtzen, kann als weitere Bedingung fĂŒr das âAnschmiedenâ eines neuen Blocks ein hoher Rechenaufwand gesetzt werden. Dem sogenannten âMiningâ / Proof of Work. Hier mĂŒssen eigene, sogenannte Miner bei jedem Block – mit sehr viel Rechenpower – ein kryptologisches RĂ€tsel lösen, um einen Block an die Chain anhĂ€ngen zu dĂŒrfen. FĂŒr die erfolgreiÂche Lösung erhalten sie eine kleine Belohnung in der jeweiligen KryptowĂ€hrung. Mining ist jedoch aus verschiedenen GrĂŒnden eher fĂŒr KryptowĂ€hÂrungen wie Bitcoin relevant. Die Blockchain kann auch ohne Mining funktionieren, gleichwohl sie daÂdurch an Sicherheit verliert.
Da alle Teilnehmer die gesamte Chain bei sich haben, kann niemand unbemerkt Teile eines Blocks der Kette abĂ€ndern. Man spricht bei einer Blockchain auch von einer verteilten Datenbank. Obwohl der Begriff etwas irrefĂŒhrend ist, da die Blockchain nicht aufgeteilt wird, sondern an alle Teilnehmer als gesamte Kette repliziert wird. D.h. Jeder Teilnehmer besitzt eine exakte Kopie der Chain.
Es lassen sich also alle Transaktionen in ihren VerlĂ€ufen lĂŒckenlos zurĂŒckverfolgen. Ein Alptraum fĂŒr Schwindler und BetrĂŒger, bzw. fĂŒr jede Form von Korruption.
SMART CONTRACTS
Mit dem Aufkommen der Idee des Blockchain Ansatzes diesen auch fĂŒr andere digitale TransakÂtionen â als nur fĂŒr digitales Geld â zu verwenden, wurde der Fokus stark auf âsmart contractsâ (siehe Ethereum) gelenkt. âSmart contractsâ sind vordeÂfinierte, digitale Regelwerke, die es ermöglichen, verteilte, dezentrale, automatisierte AblĂ€ufe zwiÂschen unterschiedlichen Partnern zu ermöglichen.
Auch die Industrie erkennt zunehmend die disÂruptive Bedeutung dieses Denkansatzes auf verÂschiedene etablierte GeschĂ€ftsmodelle. Auch erÂmöglicht es völlig neuartige, direkte Interaktionen zwischen Maschinen. Einige groĂe Player schieÂlen hier besonders auf (teil)autonome Systeme aus der Industrie oder z.B. auf unseren StraĂen. Auf der anderen Seite gibt es lebhafte ĂberlegunÂgen aus âGraswurzelâ (grassroot)-Bewegungen, Blockchain AnsĂ€tze fĂŒr autarke Lebensstile anzuÂwenden. Zum Beispiel fĂŒr BĂŒrgerkraftwerke, um Strom untereinander zu handeln oder autonome, regionale WirtschaftsrĂ€ume zu organisieren. AnÂdere wollen die Blockchain als Basis-Ansatz fĂŒr direktere Demokratie einsetzen. NGOs nutzen sie bereits, fĂŒr Hilfsprojekte in Krisenregionen. OrgaÂnisationsentwickler elaborieren anhand der BlockÂchain wie sich DAOs (decentralized autonomous organization) realisieren lassen. Und in Zirkeln fĂŒr Bildungsexperten wird der Begriff der âBlockÂchainâ nun auch salonfĂ€hig herumgereicht. Der Ansatz ist also nun endgĂŒltig im Main-Stream angekommen, obwohl es immer noch an masÂsentauglichen Blockchain-Anwendungen fehlt. AuĂerdem besitzt die klassische Blockchain âper Designâ Eigenschaften, die fĂŒr eine MassenanÂwendung eher hinderlich sind. Es fehlt an SkalierÂbarkeit und Transaktionsgeschwindigkeit und das spekulationsgetriebene, aber wichtige Mining, verÂschlingt immer mehr klimafeindlichen Strom, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen.
Es gibt viele interessante Ideen, doch allen voÂran fehlt es bislang an einer wirklich guten âKilÂlerâ-Anwendung, um einen technologischen ParaÂdigmensprung auszulösen.
WÀhrend die Blockchain noch am Durchbruch kratzt, bahnt sich am Technologie-Horizont eine neue Disruption an, die das Potenzial besitzt, die sich gerade entfaltende Blockchain abzulösen.
DER TANGLE
Der Tangle von IOTA besitzt nicht die NachÂteile der Blockchain. Er ist von Grund auf fĂŒr IoT GerĂ€te erdacht worden und besitzt unbegrenzte Skalierbarkeit. Seine Transaktionsgeschwindigkeit skaliert mit seiner GröĂe. Daten werden in einem Netzwerk (Graphen) anstatt in einer Kette (chain) angefĂŒgt. Auch gibt es keine Daten-Blöcke, sonÂdern jede Transaktion ist ein eigener NetzwerkÂknoten (Node). Das aufwendige Mining (Proof of Work) entfĂ€llt. Stattdessen muss jeder Teilnehmer mit seiner Transaktion zwei vorhergehende TransÂaktionen prĂŒfen und genehmigen. Eine Aufgabe, die sich schnell und leicht erledigen lĂ€sst – auch mit ganz kleinen GerĂ€ten. Und schlieĂlich: es gibt keine TransaktionsgebĂŒhr (transaction fee), wie bei gĂ€ngigen Blockchain Anwendungen.

Einige groĂe Konzerne (Bosch, Microsoft usw.) denken bereits laut ĂŒber Tangle Anwendungen nach. Zumindest jubeln Marketing-Abteilungen ĂŒber neue fantastische digitale Produkte, die bald möglich wĂŒrden â oder auch nicht.
Wir werden sehen. Jedenfalls ist das erst der Anfang eines neuen technologischen Paradigmas.